Ungersheim

Mittwoch, 8. Februar 2017 | 

UNGERSHEIM

Von Océane Labalette, Wyloen Munhoz-Boillot, Thomas Porcheron & Léa Schneider 

(DFJ 2016/2017)

Dieses elsässische Dorf von 2.200 Einwohner hat 2008 beschlossen, einen ökologischen Wandlungsprozess umzusetzen. Es geht darum, auf der lokalen Ebene, gegen die Klimaerwärmung zu kämpfen. Deshalb hat der Bürgermeister Jean-Claude Mensch „21 Maßnahmen für das 21. Jahrhundert“ vorgeschlagen und umgesetzt: Energiewende, bio – und lokale Landwirtschaft, Regiogeld, partizipative Demokratie, usw. Innerhalb von neun Jahren wurde viel unternommen und erreicht. Eine Solarpanelanlage versorgt zehntausend Einwohner mit Strom, außer den Bedarf für Heizung. Durch verschiedene Kommissionen sind die Bürger in den Entscheidungen einbezogen. 50% der Nahrung in der Mensa kommt aus der dortigen biologischen Landwirtschaft. Laut dem Bürgermeister habe die Wende etwa hundert Arbeitsplätze geschaffen. Außerdem hat die Journalistin Marie-Monique Robin einen Film über Ungersheim gedreht. Aber hat dieser Wandlungsprozess tatsächlich die lokale Wirtschaft verändert? Eine Reportage.

Le Radis, die lokale Währung

Roland Guth sitzt auf einem breiten Stuhl in dem Rathaus und zählt seltsame Geldscheine. Noch seltsamer ist, dass eine Frau ihm hundert Euro gibt, um diese Geldscheine zu bekommen. Doch keine Angst, es sind „Radis“ (Radieschen), das Regiogeld Ungersheims. Heute kann man Euro in „Radis“ eintauschen. Es wurde 2013 eingeführt und hat als Ziel, das Einzelhandel des Dorfes zu kräftigen. Vierzehn Unternehmen nehmen es an und hundert Leute benutzen es. „Es hilft den kleinen Geschäften, sie verkaufen mehr“, sagt er lächelnd. 11 000 Radis seien im Umlauf, eine erhebliche Zahl für ein so kleines Dorf.

Video : Umtausch von Euros in Radis im Rathaus Ungersheim

Es liegt vielleicht daran, dass die Geschäfte Rabatt von 10 bis 30% anbieten, wenn man mit Radis bezahlt. „Es regt die Leute dazu an, es zu benutzen“ denkt Roland. Es werden hohe Summen getauscht, und zwar zwischen ein und zweihundert Euro. Dennoch sind nicht alle von das Regiogeld begeistert. In der Pizzeria Il Venezia, wo das Radis angenommen wird, ist die Besitzerin skeptisch: „Niemand bezahlt in Radis, außer der Ehefrau des Bürgermeisters“. Das Prinzip, fünf Euro Beitrag zahlen zu müssen, gefällt ihr auch nicht. „Außerdem kann ich nicht fünf hundert Radis in die Bank stellen. Das ist zu kompliziert“. In der Bäckerei „Suzanne & Rémy Zinter“ höre man vom Radis wenig, genauso wie beim Frisör „Intemporel“. Wohin fließt dann dieses Geld?

Das Zentrum für Kinderbetreuung „Les Coccinelles“ bekommt hingegen viele Radis, da das Rathaus ein Rabatt von 26% anbietet. „Wir empfangen bestimmt mehr Kinder mit dem Radis“, sagt die Sekretärin. Nach den Präsenzlisten, die uns vorliegen, hat sich die Zahl der Kinder verdoppelt. Durchschnittlich geben die Eltern 70 Euro aus. Zwar ist das Regiogeld im Umlauf, aber nicht bei allen Geschäften. Die Konsumart hat sich nicht geändert. Es scheint eher ein Symbol einer alternativen Wirtschaft zu sein.

„Le Radis“, die lokale Währung

 

Roland Guth, Geschäftsführer der lokalen Währung „Le Radis“

Welche Folgen für die Beschäftigung ? 

Die grüne Wende hat einerseits Arbeitsstellen geschafft und andererseits Firmen angezogen, die ihre Betriebsgebäude und Arbeitsstellen nach Ungersheim und ihrer Umgebung verlagert haben. Beispiel hierfür ist das Innovationszentrum, das anstelle eines ehemaligen Bergbaugelände errichtet wurde. Alle Dächer  des Gelände sind mit Solarpanelen bedeckt und bilden den Photovoltaik-Park.

Die Besonderheit der geschaffenen Arbeitsstellen ? Es handelt sich großteils um Eingliederungsverträge. Ziel dieser Verträge ist es, Personen, die bisher von dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, einen neuen Einstieg zu ermöglichen. Sobald der Vertrag zu Ende geht, bekommt der Angestellte ein Zertifikat, sowie eine offizielle Anerkennung des Sektors, indem er tätig war.

Der biologische Gemüsebaubetrieb „Les Jardins du Trèfle Rouge“ in Ungersheim beschäftigt 51 Personen mit Eingliederungsverträge auf ihre beide Produktionsstandorte : 25 in Sentheim und 26 in Ungersheim. Wie es genau funktioniert erklärt Laura, Mitarbeiterin des Gemüsebaubetriebs :

Die Beschäftigten arbeiten 24 Stunden pro Woche und werden gemäß dem französischen Mindestlohn bezahlt. „Insgesamt verdienen sie ca. 770 Euro im Monat“, rechnet Laura. Der typische Arbeitstag fängt morgens um 8:40 Uhr und endet nachmittags um 15:40 Uhr. Elternfreundliche Arbeitszeiten, „damit die Eltern ihre Kinder rechtzeitig in der Schule bringen und abholen können“, erklärt Laura.

Die Gemüse, die hier verarbeitet werden, sind Saisongemüse. Zur Winterzeit gibt es Karotten, Kürbisse, Kartoffeln und Zwiebeln. Im Sommer wird es ein bisschen bunter mit Artischocken, Tomaten und Auberginen. Der biologische Gemüsebaubetrieb liefert den Wochenmarkt, die Schulmensa und stellt Gemüsekörben her, die an Privatpersonen verkauft werden. Unverkaufbare Waren – sogenannte „deklassierte Gemüse” – werden an der Konservenfabrik weitergeleitet. Oder enden in der Teller der Beschäftigten, die abwechselnd für ihre Kollegen zum Mittagessen kochen.

Laura Lech, Berufssoziologische Begleiterin bei „Les Jardins du Trèfle Rouge“

Auch Ehrenamtliche spielen eine große Rolle bei der grünen Wende. Wie zum Beispiel in der Konservenfabrik. Die endgültige Gebäude sind noch nicht bezugsbereit. Deswegen findet das Eintopfen – bis auf Weiteres – in der Sporthalle statt, die provisorisch zu diesem Zweck umgewandelt und ausgerüstet wurde.

An diesem Tag hat sich ein Team von sechs Ehrenamtlichen getroffen. Drei Stunden lang haben sie die Gemüse sortiert, geschnitten, gewaschen und gekocht. „Heute konnten insgesamt 170 Einmachgläser gefüllt werden”, versichert Martine Schermesser, Mitarbeiterin im Rathaus, die auch zu den Ehrenamtlichen zählt, „Jede Woche entsteht eine neue Produktion von 150 bis 200 Einmachgläsern”.

Konservenfabrik

Konservenfabrik

Video : Martine Schermesser beim Eintopfen 

Wie wird das Ganze finanziert ?

Bisher wurden die zahlreichen Initiativen der grünen Wende zum Großteil durch öffentliche Gelder finanziert. Nehmen wir ein Beispiel. Der Verkauf der Produktion des Gemüsebaubetriebs „Les Jardins du Trèfle Rouge“ soll 30 % des Umsatzes abdecken. Den Rest übernehmen unterschiedliche Institutionen, wie der Oberrhein oder die Europäische Union – durch das Europäische Sozialfonds. Somit wird die Beschäftigung von Menschen mit Eingliederungsverträgen unterstützt. Auch die Beschäftigte der Konservenfabrik kann dank Förderungen der Stiftung „Fondation de France“ bezahlt werden.

„Ohne öffentliche Zuschüsse würden wir nicht voran kommen“, gesteht Laura.

Stadtrats Mitglied Dominique Wurch ist sehr kritisch. „Les Jardins du Trèfle Rouge leben von öffentlichen Geldern. Das ist Wettbewerbsverzerrung gegenüber lokalen Produzenten“, warnt er und stellt dabei die finanzielle Nachhaltigkeit der grünen Wende in Frage. „Was machen wir, wenn wir keine öffentliche Zuschüsse mehr kriegen ?“ Er ist der Meinung, dass der Dorf sich schnell um eine Eigenfinanzierung kümmern sollte.

Das ist nun angesagt. Für die Zukunft werden alternative Finanzierungsquellen angestrebt. So wird demnächst ein Verein von Crowdfunding gegründet, um diverse Projekte im Bereich Erneubare Energien zu entwickeln.

Dennoch ist die Wirtschaft in Ungersheim nicht umgewandelt worden. As Regiogeld und die verschiedenen Projekte tragen zwar zu der grünen Wende bei, aber die Arbeitslosigkeit kann nicht nur auf der lokalen Ebene geregelt werden. Der Bürgermeister bleibt doch optimistisch: „Wir sind erst am Anfang eines langfristiges Prozesses“.

Dokumentar zu Ungersheim : Qu’est-ce qu’on attend von Marie-Monique Robin

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