Freiburg: Stadt der legalen Street Art

Dienstag, 15. Dezember 2015 | 

Ob im Stühlinger, in Halsach, in der Wiere oder bei der Dreisam, Graffiti ist überall zu erblicken. Street Art gehört einfach zum Freiburger Alltag. Bis vor einigen Jahren galt sie als illegale Kunst; heute kann man sie an Wänden von Schulen oder sogar in Galerien bewundern. Sogar die Stadt beauftragt nun Sprayer damit, Freiburg farbenfreudiger zu gestalten.

Von Maxime Nauche, Noémie Philippot, Tatiana Geiselmann (Deutsch-Französische Journalistik 2015-16)

Azur, himmelblau, ocker, hellgrün, maisgelb,… Voller Farben tanzen ein paar Mädchen auf der Rückwand der St. Ursula-Schule in Freiburg. Das Gemälde ist beinahe fertig; nur noch einzelne Verfeinerungen stehen aus. Der Freiburger Künstler Tom Brane sprüht gelassen auf die 80 Quadratmeter große Rückfassade der Schule die letzten Details. Schwebende Seifenblasen wirbeln um die bunten, tanzenden Figuren umher. „Die Seifenblasen symbolisieren Gedanken der Schülerinnen, die in den Wind fliegen. Aus den Blasen entstehen Bücher, für das Wissen, und dann fliegen Vögel, als Symbole der Freiheit des Wissens, aus diesen Büchern raus.“ erläutert der Sprayer. Gewandt werden die Konturen noch gesprüht und fertig ist das Bild.

Eine urbane, moderne Kunstform als Symbol der neuen Jugendkultur

Immer häufiger kommt es vor, dass der Straßenkünstler beauftragt wird, Gebäudewände lebhafter zu gestalten. Privatunternehmen, Behörden, Schulen und andere Institutionen wollen heutzutage die Wände ihrer Gebäude bemalen lassen. Früher konnten die Sprayer die Winkel und Ecken der Städten nur illegal verschönern. Doch nun ist die Akzeptanz für diese moderne, urbane Kunstform gewachsen. Street Art ist populär und wird begehrt. „Vor drei Jahren war ich fast obdachlos. Dann kamen die ersten Aufträge“ bekundet Tom Brane. Seitdem kann der Graffitikünstler von seiner Kunst leben. Er selbst sieht sich als eine Kontra-Werbetafel. „Werbung ist überall in der Stadt, aber drückt keine Meinung aus; es bringt den Menschen nichts, nur vielleicht Brutalität, nackte Frauen und Konsum. Menschen würden vielleicht anders denken, wenn die Stadt voll mit schönen Werken wäre. Ich versuche, das Leben in der Stadt zu zeigen: bunt und nicht nur grau“. Am liebsten würde er ganz Freiburg lebensfroh sprühen.

 

Menschen würden vielleicht anders denken, wenn die Stadt voll mit schönen Werken wäre

Die ersten Graffiti tauchten in Freiburg schon in den 70er-80er Jahren auf. Während auf der ganzen Welt die Street Art einen unglaublichen Boom erlebte, erschienen in Baden die ersten Gekritzel auf den Stadtwänden. Einfache Tags wurden mit der Sprühdose schnell und groß an womöglich auffällige Orten gesprüht (Hauswände, Ladenfassaden, Brücken, usw.). Die Bürger reagierten sofort empört und beschwerten sich über die illegalen Bemalungen. Gesprüht wurde ja an Stellen, die eigentlich nicht dafür vorgesehen waren. Für die Freiburger war diese neu erstehende Kunst nur Verschmutzung und Vandalismus. Doch wie sollte die Stadt reagieren? Sollte man Street Art ganz einfach verbieten ? Gehörten diese Spuren, die die Sprayer in der ganzen Stadt hinterließen, nicht doch zur Jugendkultur?

Künstler wissen die legalen Plätzen zu schätzen

2003 traf das Freiburger Stadtparlament eine klare Entscheidung: Street Art ist an privaten und öffentlichen Gebäuden verboten. Wer beim Sprühen solcher Flächen erwischt wird, wird verhaftet und muss auf eigenen Kosten die Wand wieder sauber putzen. Graffiti ist im juristischen Sinne Sachbeschädigung, wenn ohne Erlaubnis gesprüht wird. Deshalb wird in Freiburg illegales Malen unverhältnismäßig hart verfolgt.

Doch gleichzeitig schaffte die Stadt für die jungen Künstler freie Plätze, damit sie sich “austoben“ konnten. Insgesamt wurden 14 legale Flächen, über die gesamte Stadt verteilt, zur Förderung der jungen Talente, freigegeben. Ausgesucht wurden Orte, deren Zugang nicht gefährlich war, die sichtbar genug waren und an denen die Sonne die farbenprächtigen Werke nicht zu sehr bleichte.

 

carte fribourg

Wer mal an einem sonnigen Sonntagnachmittag die Dreisam runter flaniert, wird sofort bemerken, dass die freigegebenen Stellen der Stadt keinerlei Mangel von Farbe aufweisen. Die Künstler wissen die legalen Plätzen zu schätzen und sprühen regelmäßig ihre neue Kunstwerke auf dem Beton. Graffiti ist aber trotzdem nicht von den Hauswänden verschwunden. „Für einige hat es einen bestimmten Reiz illegal zu sprühen. Sie könnten es sich überhaupt nicht vorstellen, legal zu sprühen“, erklärt Toni Klein, Sprecher der Stadtverwaltung Freiburg. Graffiti beinhaltet für manche immer noch etwas rebellisches und verbotenes.

 

Die Kunst der Straße schafft es in die Museen

Für andere urbane Kunstliebhaber sind diese Flächen aber von großer Bedeutung. Da man keine Angst vor Polizeiverfolgung haben muss, kann man sich Zeit für sein Kunstwerk nehmen. Und das Werk kann solange stehen bleiben, wie es die Mitmenschen für nötig halten. In der legalen Szene gibt es nämlich ein Respekt für gute Werke : Wenn ein Werk gut ist, dann wird nicht automatisch drüber gemalt. Oder mindestens nicht vor einem Monat. Dies ermöglicht es jedem Künstler, in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden und ein Urteil über seiner Kunst zu erhalten.

 

Was wichtig bei Street Art ist, ist nicht das Ergebnis, sondern der Prozess

Doch diese Sichtbarkeit genügt heutzutage nicht mehr für Sprayer, die von ihrer Kunst leben wollen. Internetpräsenz ist nun entscheidender. Und Ausstellungen. Denn obwohl Street Art dem Namen nach eine Kunst der Straße ist, hat diese Kunstform nun ihren Einmarsch in Museen und Galerien geschafft. Kann man sie trotzdem immer noch als Street Art bezeichnen? „Ich mag das Wort Street Art gar nicht. Es genügt nicht zu sagen, dass wir Street Artists sind. Ich würde mich sogar nicht als einen solchen bezeichnen. Wir benutzen einen bestimmten Stil, der als Street Art bezeichnet wird, aber wir sind Illustratoren, Designer“ gesteht SMY, ein Spraykünstler aus Freiburg. Er und sein Kumpel JustCobe malen jetzt hauptsächlich auf Leinwänden. Öfters stellen sie ihre Kunstwerke in den temporären Ausstellungen die vom Kunstverein KulturAggregat organisiert werden. Für sie hat Street Art eine neue Form der Kunst hervorgebracht. Von der Straße haben sie die Werkzeuge (die Sprühdosen), den Stil (farbenfroh) und die Einstellung genommen. Und dies übertragen sie nun auf Leinwände. Das illegale, das in der Eile gekitzelte, das haben sie bei Seite gelassen. „Was wichtig bei Street Art ist, ist nicht das Ergebnis, sondern das Prozess“ fügt SMY hinzu. Und das, das haben sie behalten.

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