Heidegger und das jüdische Prophetentum – eine strukturelle Analogie?

Montag, 20. Mai 2019 | 

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Journalist und Autor Nicolas Weill

 

Gibt es trotz des deutlichen Antisemitismus in den Schwarzen Heften Martin Heideggers strukturelle Analogien in seinem Denken zur jüdischen Tradition? Der Journalist und Autor Nicolas Weill, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Frankreich-Zentrums, stellte am 16.05.2019 in seinem Vortrag „Der Dichter und der Prophet in Anmerkungen I Heideggers“ am Frankreich-Zentrum genau diese Frage.

Der Vorstandsvorsitzende des Frankreich-Zentrums Prof. Jacob begrüßte zunächst das Publikum und führte in die beeindruckende Vita von Herrn Weill ein, der nicht nur als Journalist bei Le Monde tätig ist, sondern eine große Bandbreite an Übersetzungen und eigenständigen Monographien veröffentlicht hat, darunter das 2018 erschienene Buch Heidegger et les cahiers noirs. Mystique du ressentiment.

Herr Weill betonte zunächst, dass es nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte von Martin Heidegger unmöglich geworden sein, daran festzuhalten, Heidegger sei in eine vollständige „innere Opposition“ zum NS-Regime und seiner Rassenideologie gegangen. In den Schwarzen Heften zeige sich vielmehr auch ein Antisemitismus im Denken, die Juden seien „die Inkarnation der technischen Moderne“, die es laut Heidegger zu überwinden gilt.

In seiner Beschäftigung mit dem Dichter Hölderlin zeige sich dann allerdings doch, dass Heideggers Denken zum Teil erstaunliche Parallelen zur jüdischen Tradition aufweise. Heidegger spricht in Bezug auf Hölderlin vom „Dichter-Propheten“, dem er den „jüdisch-christlichen“ Propheten gegenüberstelle. Letzterer sei nicht nur ein reiner Zukunfts-Weissager, sondern verweise immer auch auf Gott.

Mit Referenz auf Marlène Zarader und ihr Buch La dette impensée. Heidegger et l’héritage hébraïque führte Weill anschließend aus, dass Heidegger jedoch die biblischen Propheten falsch versteht und sein Dichter-Prophet im Grunde der jüdischen prophetischen Tradition viel ähnlicher ist, als Heidegger es darstellt. Der biblische Prophet ist laut Zarader und Weill nicht allein ein „Organ Gottes“, sondern ein Verborgener, der vor seiner Aufgabe flieht, ein „Seher des Seins im Verborgenen“.

Dies fügt sich zusammen mit Heideggers Konzeption des Dichter-Propheten und Poeten. So vollziehe sich für Heidegger das „Ideal des Poetischen am besten in der schweigsamen Stille“: Von sich selbst zu sprechen ohne kommunizieren zu wollen. Diese Konzeption findet sich so auch im Alten Testament wieder: Moses konnte von den Pharaonen nicht gehört werden, seine Prophezeiungen waren nicht zur Kommunikation gedacht. Moses sprach nur für sich selbst, sein Bruder Aaron musste „übersetzen“. Die Worte Moses bewegen sich seinem Volk gegenüber „direkt von Herz zu Herz, durch eine Sprache, die über Kommunikation hinausgeht“. Die Worte sowohl des Dichters nach Heidegger als auch des alttestamentarischen Propheten sind damit „heilige Sprache“ in dem Sinne, dass diese nicht manipulieren oder überzeugen will, sondern sich durch Ihre Evidenz, durch ihren direkten Bezug zum Sein durchsetzt.

Wie ist nun mit dieser strukturellen Analogie umzugehen? Weill betonte, dass die Suche nach einer „Wahlverwandtschaft“ zwischen Heideggers Denken und dem jüdischen Denken in den Schwarzen Heften sicher in die Sackgasse führen würde. Vielmehr hätten die strukturellen Analogien ihren Ursprung in der impliziten Präsenz des jüdischen Denkens im abendländischen Denken.

An Herrn Weills Vortrags schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die vom Lektor des FZ Dr. Guillaume Plas simultanübersetzt wurde.

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