FREIeBÜRGER braucht die Stadt – über die Freiburger Straßenzeitung

Dienstag, 7. Februar 2017 | 

Print ist in der Krise. Zeitungen landauf, landab kämpfen gegen sinkende Auflagen. Um das Überleben zu sichern, wird kräftig Personal abgebaut. Anders beim FREIeBÜRGER: bei Freiburgs unabhängiger Straßenzeitung stehen seit Gründung 1998 die Mitarbeiter im Mittelpunkt.

Von: Franziska Gromann, Clarissa Herrmann, Paula Kersten, Ferdinand Moeck (DFJ 2016/2017)

Die Redaktion

Ursprünglich als Reaktion auf das von der Stadt Freiburg erlassene Bettelverbot im Sommer 1998 gegründet, geht es der monatlich erscheinenden Zeitung einerseits darum, Geringverdienern ein Zubrot als Verkäufer zu bieten und andererseits ein Sprachrohr für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen in der Stadt zu sein. „Wir haben keinen Träger, können über alles schreiben. Das ist unser großer Vorteil“, sagt Ekki, eines der drei ständigen Redaktionsmitglieder.
Diese Unabhängigkeit hat aber ihren Preis. Ungefähr 60 bis 70 Prozent werden über Spenden finanziert, ein kleiner Anteil kommt noch über Anzeigen zusammen – wobei hier nicht aktiv gesucht wird. „Die meisten Anzeigenkunden unterstützen uns schon seit Jahren, manchmal springt einer ab oder ein neuer kommt dazu. Aber wir wollen uns bewusst auf redaktionelle Inhalte konzentrieren. Andere Straßenzeitungen haben Groß-Sponsoren, wie Mercedes Benz in Stuttgart, aber das wollen wir nicht. Dann könnten wir nicht mehr unabhängig und unvoreingenommen berichten“, erzählt Ekki.

Zwischen finanziellen Problemen und redaktioneller Freiheit

Neben Ekki bilden Oliver und Micky den festen Kern der Redaktion. Vier weitere Mitglieder kommen unregelmäßig. Keiner von ihnen hatte zuvor je im Zeitungswesen gearbeitet, allesamt Autodidakten in ihrem neuen Beruf. Viele waren arbeitslos, bevor sie zum FREIeBÜRGER kamen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Artikel schreibe und nun sind es schon 37“, wie Oliver selbst überrascht feststellt.

In den Redaktionsräumen des FREIeEBÜRGER

 

Für den FREIeBÜRGER schreiben kann und darf jeder. Ein großer Teil der Artikel wird von Externen verfasst. Dass Verkäufer selbst Artikel schreiben komme seltener vor, freue die Redaktion dann aber umso mehr, erzählt Oliver. Wie alle Artikel werden diese zwar auf Rechtschreibung und Grammatik korrigiert, nicht jedoch die Aussagen des Textes verändert. Eine redaktionelle Linie gibt es nicht. Man verstehe sich als kritische Zeitung, schreibe gerne frei raus, meint Oliver. „Jeder von uns schreibt anders. Eine bunte Mischung ist uns sehr wichtig“, sagt er weiter. Auf freie Meinungsäußerung wird größter Wert gelegt. „Lieber eingeschränkt in den finanziellen Mitteln als in der Meinungsäußerung“, unterstreicht Ekki wiederholt den zentralen Gedanken der redaktionellen Unabhängigkeit. Eine finanziell weniger angespannte Lage wünschen sich insgeheim jedoch alle, reichen die Einnahmen doch gerade aus, um alle Kosten zu decken.

Eine Zeitung von der Straße für die Straße

Vom Verkaufspreis von 2,10€ gehen 1,10€ an die Redaktion bzw. den Verein FREIeBÜRGER, der verbleibende Euro gehört den Verkäufern. Einen Mindestabsatz pro Person haben sie nicht. Zur Zeit sind etwa 30 von ihnen in ganz Freiburg im Einsatz, davon 25 Männer. Übrigens nicht ausschließlich Obdachlose. „Auch wenn sich nur wenige den Unterschied bewusst machen: der FREIeBÜRGER ist eine Straßenzeitung und keine Obdachlosenzeitung. Unsere Verkäufer sind Geringverdiener, also Studierende, aber auch Rentner oder Menschen im besten Alter, Durchreisende oder Freiburger, die sich so etwas dazu verdienen können und schlichtweg müssen“, berichtet Oliver.

Gearbeitet wird auf Vertrauensbasis. Interessierte können in der Redaktion vorbeischauen und im Gespräch wird dann geschaut, ob ein Verkäuferjob infrage kommt. Zum Einstieg bekommt man einen Probeverkäuferausweis und zehn Gratis-Exemplare zum Verkauf. Der dafür vorgesehene Platz in der Stadt wird mit der Redaktion abgesprochen.
Wenn die Probezeit gut läuft, ist ein dauerhafter Einstieg möglich. Allerdings gibt es auch gewisse Regeln, an die sich Verkäufer halten müssen: kein Alkohol während des Verkaufs, ein freundlicher Kundenumgang und kein aufdringliches Verkaufen.
Bei Beschwerden oder Problemen, die meistens von Privatpersonen direkt an die Redaktion geäußert werden, greift die Geschäftsstelle ein. Gespräche sind wichtig, insgesamt herrscht eine familiäre Atmosphäre in der Organisation. Im Falle von Beschwerden über einzelne Verkäufer werden gewöhnlich temporäre Verkaufsverbote erlassen. Einen kompletten Ausschluss habe es in all den Jahren nur zweimal gegeben, wie Ekki rückblickend erzählt. Um Problemen frühzeitig zu begegnen wurde mit dem Verkäufersprecher eine Schnittstelle zwischen Redaktion und Verkäufern geschaffen.

Seit nun mehr als zwei Jahren erfüllt Karsten diese wichtige Funktion. Von den Verkäufern selbst gewählt, sammelt er ihre Anliegen. „Der Verkäufersprecher ist für sie der erste Ansprechpartner. Außerdem sind wir als Redaktion natürlich gut vernetzt und können bei anderen Problemen unserer Verkäufer die richtigen Anlaufstellen vermitteln, wie Sozialarbeiter oder Notunterkünfte“, erklärt Ekki. Das war nicht immer so. „Eine Zeit war das Verhältnis zu weit auseinander“, meint Oliver selbstkritisch. Nicht nur deshalb sei Karsten in seiner Rolle so wichtig für sie. Er schaffe Kommunikation und entlaste so die Redaktion, führt er weiter aus.

 

Lokale Initiativen – global vernetzt

 

Für weitere Entlastung und gar einen internationalen Touch sorgt die Mitgliedschaft des FREIeBÜRGERs im International Network of Street Papers (INSP), dem sich 112 Straßenzeitungen aus 35 Ländern in 24 verschiedenen Sprachen angeschlossen haben. Das INSP bietet eine Plattform für den Austausch von Ideen, Bildern und Artikeln, die im eigenen Archiv zusammengetragen werden. Oliver, Ekki und Micky machen regelmäßig davon Gebrauch, sodass Artikel aus aller Welt in übersetzter Form im FREIeBÜRGER erscheinen. „Wir finden es interessant aus Kanada oder Griechenland zu berichten. Und das direkt von anderen Straßenzeitungen aus den jeweiligen Ländern“, betont Oliver. Gelegentlich stellen sie auch eigene ins Archiv des INSP. Zuvor war der FREIeBÜRGER im inzwischen aufgelösten Bundesverband der Straßenzeitungen, wo zwar gute Ideen zusammenkamen, jedoch nichts umgesetzt wurde, konstatiert Ekki. Am jährlichen internationalen Treffen des INSP würden sie zwar gerne teilnehmen, die Reisekosten seien bis jetzt allerdings nicht zu stemmen gewesen, meint Oliver. Auch wenn der direkte Kontakt zu anderen Straßenzeitungen weniger geworden ist, sieht man in der Redaktion vor allem die Vorteile der Mitgliedschaft im INSP.

Dass Artikel aus Freiburg dadurch in Straßenzeitungen auf der ganzen Welt abgedruckt werden können, damit hätte bei der Gründung vermutlich niemand gerechnet. Denn eigentlich wollten die Gründer ja nur das lokale Bettelverbot umgehen, auf kreative Art und Weise.
Auch den heutigen Redaktionsmitgliedern mangelt es nicht an Kreativität. Für das 20-jährige Jubiläum im Sommer 2018 sind die Planungen schon im Gange. Eine große Gala soll es geben, ein neues Layout wird entworfen und auch der Webauftritt wird neu überarbeitet. „Wir müssen definitiv unsere Sichtbarkeit erhöhen. Die Kreativität, die ist ja hier“, sagt Oliver.

Gründung als Idee gegen das Freiburger Bettelverbot „Da waren dann ein paar Leute kreativer.“ An Kreativität mangelt es den Redaktionsmitgliedern jedenfalls nicht. „Die Kreativität, die ist ja hier.“ Und nicht nur Kreativität, sondern auch Engagement. Alle Redaktionsmitglieder stehen voll hinter dem Projekt und würden notfalls auch ehrenamtlich weitermachen, um das Bestehen des FREIeBÜRGERs als Hilfe zur Selbsthilfe zu sichern.
„Nicht nur für uns, sondern gerade für viele unserer Verkäufer hat der FREIeBÜRGER eine extrem wichtige Stelle im Leben eingenommen. Sie können endlich wieder unter Leute gehen und haben das Gefühl ihrem Leben einen Sinn zu geben“, so Oliver, „wenn man einen konkreten Grund hat, morgens aufzustehen, dann geht das schon viel leichter.“

 

 

Die Verkäufer

Stefan

Stefan wurde vor 38 Jahren in Donaueschingen geboren. Seit über zehn Jahren verkauft er den FREIeBÜRGER, im Moment steht er vor der Drogerie Müller auf der Kaiser-Joseph-Straße.

Mittlerweile verkauft er die Zeitung, um sein Ausbildungsgehalt aufzustocken. Er kann sich aber gut vorstellen, das auch noch länger zu machen: „Bis jetzt hat es mir immer Spaß gemacht, ich will es eigentlich nicht vollständig aufgeben.“

 

Stephen

 

Wie ist Stefan dazu gekommen, die Freiburger Straßenzeitung zu verkaufen?

Stefan macht eine Ausbildung zum Altenpfleger. Sein kleines Ausbildungsgehalt reicht ihm nicht zum Leben.

Wie reagieren Passanten auf den Verkäufer?

Jeder Verkäufer hat einen Verkaufsausweis mit einer sichtbaren Nummer, die einige besorgte Mitbürger zu beruhigen scheint.

Obdachlosigkeit – Schicksal oder bewusste Entscheidung?

 


Karsten

Karsten ist 45 Jahre alt und seit Mai 2014 beim FREIeBÜRGER. Mittlerweile hat er dort eine feste Stelle als Verkäufersprecher.

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 Wie ist Karsten zum FREIeBÜRGER gekommen?

Wie laufen die Verkäuferversammlungen ab?

Um Konflikte zu vermeiden, gibt es die Verkäuferregeln… :

Karsten wurde von einer Kundin auf eine Reisa nach Jerusalem eingeladen. Über diese berichtet er im FREIeBÜRGER:

Die FREIeBÜRGER, ein eingespieltes Team:

 


Hannes

„Wie alt bist Du, Hannes?“

Er zieht an seinem Zigarillo und dreht das Gesicht in die Sonne.

„50 glaube ich.“ Dicker weißer Qualm steigt in die Frühlingsluft. Er wippt unruhig von einem Bein auf das andere, während die Augen einen Punkt in der Ferne suchen. „Ne, warte mal… Jetzt haben wir 2017.“ Nachdenklich legt er seinen Kopf in den Nacken, pafft den Zigarillo. „53, dann bin ich 53.“

Seit 17 Jahren verkauft er den FREIeBÜRGER, etwa eine Stunde am Tag. Hannes ist in Lahr geboren und war längere Zeit obdachlos. Über seine Vergangenheit verliert er nicht viele Worte – doch für die Zukunft hat er die eine oder andere Idee: Vielleicht eine Schreibschule besuchen, vielleicht selber Artikel für den FREIeBÜRGER schreiben.

 

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Über ungelöste Rätsel im FREIeBÜRGER:

Hannes kennt Obdachlosigkeit in Freiburg aus eigener Erfahrung:

Wie ist Hannes zum FREIeBÜRGER gekommen?

 


Swen

Auf die Frage nach einem Foto wehrt Swen abwehrend die Hände. „Neee lass mal, mit der Öffentlichkeit habe ich es immer noch nicht so.“ Er war zwölf Jahre lang obdachlos und lebte als Tagelöhner in verschiedenen europäischen Ländern um einer Haftstrafe zu entkommen.

Über welche (Um)Wege Sven zum FREIeBÜRGER kam.

Die Themen der Artikel sind breit gefächert, mal mit persönlichem Bezug.

Wenn die Straßenzeitung zur einzigen Verdienstmöglichkeit wird.

Für ihn erlaubt der FREIeBÜRGER Menschen einen Neuanfang, die anderswo keine Chance mehr bekommen.

 

 

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